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16.10.2015 - Stoppt den Neubauwahn
Ein Plädoyer für Sanierung und Umnutzung
Die Vorstellung eines lesenswerten Buches war vor kurzem in der FAZ zu finden:

Woher kommt unsere Bauwut, warum bauen wir ständig über den Bedarf hinaus? Daniel Fuhrhop findet, es ist genug Wohnraum da, und plädiert für Sanierung und Umnutzung. Mit guten Argumenten.
Jahr für Jahr entstehen in Deutschland mehr als zweihunderttausend Wohnungen, Millionen Quadratmeter Bürofläche und mehrere hunderttausend Quadratmeter Handelsfläche. Jeden Tag werden siebzig Hektar Boden verbraucht. Das ist so, stellt Daniel Fuhrhop am Anfang seiner Streitschrift gegen Neubau fest, als würde jährlich eine Stadt wie Bonn aus dem Boden gestampft. Allein in den letzten zwei Jahrzehnten, macht er an anderer Stelle klar, hat Deutschland genug
Wohnungen gebaut, um darin alle Niederländer unterzubringen.
Dabei stehen in der Republik rund 1,8 Millionen Wohnungen leer. An den größten Bürostandorten sind acht Millionen Quadratmeter Bürofläche ungenutzt. Ganze Stadtteile veröden, weil unzählige Läden keinen Betreiber finden. Die Gleichzeitigkeit von hemmungsloser baulicher Überproduktion und hohem Leerstand sichert der Abbruchindustrie hervorragende Geschäfte. Allein im Osten wurden
seit 1990 fast eine Million Wohnungen errichtet – und mehr als dreihunderttausend abgerissen. Der Leerstand ist aber nicht der einzige Grund für den Tanz der Abrissbagger. Vor allem Bauten der
Nachkriegszeit werden auch ohne Nutzermangel massenweise beseitigt, um durch vermeintlich schickere Neubauten ersetzt zu werden.
Derweil überbieten sich Lobbyisten und Politiker mit Forderungen nach noch mehr Neubau. Regelmäßig wird die große Wohnungsnot ausgerufen, als wäre Deutschland ein Land von Obdachlosen. Eine von Fuhrhop zitierte Studie, erstellt im Auftrag von Interessenverbänden, forderte 2011 allen Ernstes den Abriss und Neubau von mehr als vier Millionen Wohnungen, weil diese angeblich nicht wirtschaftlich zu sanieren seien. Verfechter des sogenannten ökologischen Bauens preisen den Umzug in ein neuerrichtetes Passivhaus in der Vorstadt als Beitrag zum Klimaschutz an. Schrumpfende Städte versuchen die Menschen zu halten, indem sie weitere Neubaugebiete ausweisen. Hinzu kommen Prestigeprojekte, mit denen die öffentliche Hand Milliarden in den Sand setzt. Als besonders groteskes Beispiel nennt Fuhrhop den geisterhaften Flughafen Kassel-Calden, den nicht einmal fünfzigtausend Passagiere
jährlich nutzen.
Dabei sieht die Bilanz des Neubaus nicht nur bei solchen gigantischen Fehlinvestitionen schlecht aus. Auch der Traum vom Eigenheim endet für die Bauherren allzu oft im finanziellen Desaster. Wohneigentum, gepaart mit hoher Kreditbelastung, macht zudem immobil und verschlechtert die Berufschancen. Die Massensehnsucht nach dem Haus im Grünen befeuert die Baulust, doch mit jedem neuen Haus bleibt weniger Grün übrig. Selbst bei angeblichen Ökohäusern ist die Gesamtenergiebilanz meist schlechter als bei sanierten Bestandsbauten, Ökozertifikate erweisen sich oft als Etikettenschwindel.
Mit ihrer meist völlig austauschbaren, banalen Architektur zerstören die Neubaumassen nicht nur die Landschaft, sondern auch urbane Traditionen. Warum geht dieser Irrsinn immer weiter? Viel Menschliches und Allzumenschliches ist im Spiel: Interessen, Gewinnsucht, Eitelkeit
und nicht zuletzt der alte Tabula-rasa-Traum von Architekten, den Fuhrhop als „zugleich kindlich und wahnwitzig“ bezeichnet. Er führt aber auch eine Reihe von Systemfehlern an. Projektentwickler sind
nicht an Nachhaltigkeit, sondern an Dauerproduktion von Bauvolumina interessiert. Banken verdienen an Baukrediten und schwatzen den Leuten Eigenheime auf, die sie sich oft nicht leisten können. Kommunen kannibalisieren sich gegenseitig im Kampf um Arbeitsplätze und Menschen, statt zusammenzuarbeiten – baut die eine einen Gewerbepark, zieht die nächste gleich nach. Zudem winkt ihnen bei Neubauprojekten Geld aus Fördertöpfen, während sie mit den Kosten für den Betrieb existierender Gebäude allein gelassen werden.
Aber auch private Unternehmen bauen weit über den Bedarf hinaus, weil sie durch
Abschreibungsmöglichkeiten und internationale Geldströme getrieben werden. Bürger oder Lokalpolitiker, die sich ihnen entgegenstellen, haben schlechte Chancen, da sie den
trickreichen Werbestrategen und Juristen potenter Investoren kaum gewachsen sind. Auch eine historische Langzeitwirkung begünstigt die Bauwut: Nach Epochen der Wohnungsnot, von der Industrialisierung bis zur Nachkriegszeit, gilt das Bauen per se als soziale Tat und dessen
Förderung als eine staatliche Pflicht.
Demgegenüber fordert der ehemalige Architekturverleger und heutige Blogger Fuhrhop nicht weniger als einen Neubaustopp. Und zwar ohne Ausnahme, wie er betont. Dieser Fundamentalismus kann nicht durchgehend überzeugen. So lässt es sich argumentativ schwer durchhalten, gegen Flächenverbrauch in der Peripherie, zugleich aber auch gegen jede Verdichtung auf Brachen in wachsenden Städten einzutreten.
Als er sein Buch schrieb, konnte Fuhrhop nicht ahnen, dass Deutschland in nur einem Jahr rund eine Million Flüchtlinge aufnehmen würde. Sein Appell, durch Sanierung, Umbau und Umnutzung konsequent den Bestand auszuschöpfen, ist allerdings auch für diese Herausforderung anregend. Denn es ist allemal besser, leerstehende Altbauten zu Unterkünften umzufunktionieren, als
durch Neubauaktionismus die Architekturqualität weiter nach unten zu schrauben und Entsorgungsfälle von morgen zu produzieren.
Überraschend für einen Missionar ist der leichtfüßige Stil des Buches, das fast ohne ideologischen Ballast auskommt. Fuhrhop wirbt für seine vielen Ideen zur Neubauvermeidung, mit denen er zum Teil
verschiedene Ansätze in den Planerdiskussionen der letzten Jahre radikalisiert, mit Charme und Humor. Er wird sich mit ihnen wohl kaum durchsetzen. Zu stark ist dafür die Interessenallianz von
Baulobbyisten. Falsch sind sie deswegen aber nicht.     
ARNOLD BARTETZKY
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UhlHerbert J.Uhl
Gemeinderat
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Auf diesen Seiten berichte ich über die Arbeit des Gemeinderats und seiner Ausschüsse aus meiner Sicht. Damit möchte ich getreu meinen Wahlzielen die Transparenz verbessern und die Entscheidungen des Gemeinderats für die Bürger nachvollziehbar kommentieren. Es handelt sich wohlgemerkt nicht um ein verbindliches Protokoll, und auch nicht unbedingt um die Position der Freien Wähler, sondern um eine Auswahl meiner subjektiven Eindrücke.